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Autor: Werner Schürmann (aus dem Tagebuch des ehem. Gefangenen der SothA Gelsenkirchen)

Montag, 24. Dezember 2012

...Meine Vorsätze (vom letzten Jahr) mehr und aufmerksamer zuzuhören und weniger selbst zu sabbeln, liess sich den gegebenen Umständen geschuldet, nicht durchhalten. Ständig forderte man mich auf "Sagen sie mal....", den zweiten Teil der Aufforderung "aber kurz" überhörte ich. Nun, meine alten Ohren verklappen Satzteile gern. Auf dem Weg zum Hirn geht auch schon mal was verloren. Manchmal frage ich mich, wohin diese Fragmente gelangt sind und was sie dort tun. Fachärztliche Behandlung für verlorengegangene Satzteile und Wortfragmente zahlt meine Krankenkasse jedenfalls nicht. Ich habe mich erkundigt. Die Sachbearbeiterin schaute mich so eigenartig an und gab mir eine, erfreulich bunte, Broschüre über ein Pflegeheim mit. Komisch, oder? Etwas hatte ich garnicht auf meinen Wunschzettel für 2012 geschrieben. Nachdenken, mehr nachdenken. Es überkam mich jedesmal spontan und hielt meine grauen Zellen 12 Monate auf Trab. Ob Sinnvolles dabei war, fragen sie. Fragen sie einen anderen. Ich bin gefühlt extrem voreingenommen, leide jedoch phasenweise unter alzheimerischer Verschleppung der Realität. Also lassen wir das.
Was macht so einen Silvestertag erträglich? Man könnte, ja vielleicht sollte man, möglicherweise nur so tun als ob, oder knallhart durchziehen, den Hausarzt fragen oder einen Priester mit Weinbergbesitz. Ich meine Schöntrinken, das abgelaufene Jahr schöntrinken. Alkoholfreunde schreien jetzt bestimmt hurra. Endlich eine leberfreundliche Lösung. Von wegen. Alles Süppelköppe hier. Nein, diese Möglichkeit schließe ich für mich definitiv aus. Bin den Alk meist nicht wieder losgeworden, bzw. habe einfach zu viele "Schönsaufgründe" gefunden. Schnell ist so ein Jahr herum. Den grössten Teil der Zeit verbrachte ich in der Praxis eines Internisten, der sich freute einen gleichgesinnten Leberkranken zu treffen. Mann, hatte der einen herrlich roten Zinken im Gesicht und so begnadet zittrige Hände beim Blutabnehmen.

Vielleicht ein Gespräch mit Gott, als Jahresabschluss?

Dienstag, 25. Dezember 2012

Ich habe das Gefühl, dass mein Gott eine Auszeit genommen hat. Kein Spirit zu verspüren, da kann ich beten so lange ich will. Die Silvesterböllerei, die vielen Raketen, die abgeschossen werden, lassen einen Dialog im Schwarzpulverdampf verkommen. Vielleicht weilt Gott am Silvestertag in der Wüste Gobi oder schlürft in Lourdes Weihwasser, wegen seiner Arthritis. Möglich. Wie auch immer, was auch immer er tut, er hält sich die Ohren zu, wegen dem Krach und ist somit nicht erreichbar. Keine Gebetserhörung unter dieser Nummer.
Musik ist eine Möglichkeit, geistige Defizite an einem solchen Tag auszugleichen, zumindest aber zielführend zu kaschieren. 3SAT, dieser Sender für Leute mit IQ ab 120, sendet 24 Stunden "Rock around the Clock". Ich schleiche mich unauffällig ins Programm, mein IQ-Ausweis ist im vergangenen Jahr verlorengegangen, und geniesse Konzertfilme bekannter Formationen, wie Phil Collins, Simon und der G(K)arfunkel. Meine zuletzt tiefgründige Stimmung hat sich merklich aufgemandelt. In sieben Stunden ist alles vorbei und mein Alltag hat mich wieder. Hintergründiges Denken, an Abgründen haarscharf vorbeischwimmendes Fortbewegen der Hirnzellen, Gespräche auf Vernunftbasis, sind bald wieder möglich, auch mit den jetzt so intelligenzlos auftretenden Mitmenschen. Meine Betrachtungen haben mich an eine Grenze, Wasserscheide, Bergwand getrieben. Nein, als humorloser, trostlos vor sich hinsabbernder überjähriger Knochenhaufen von einer Silvesternachlese, will ich heute nicht verkommen. Also tapfer die Luftschlangen ergriffen und mit lachendem Ge-sicht "Lache Bajazzo......." ins Gewühl des Silvesterabends. Es wird sicher sehr lustig.

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Eigentlich hatte ich mein Tagebuch für 2012 abgeschlossen. Es drängt mich nun aber doch, noch ein paar Zeilen anzufügen. Die Ruhetage haben mir sehr gut getan. So lustig, wie in den letzten Jahren, war es zu Weihnachten und Silvester zwar nicht, die Besetzung der WG's hat sich einfach verändert, nein, ganz bestimmt sogar. Dennoch, lief alles sehr nüchtern und positiv ab. Es gab ein leckeres Weihnachtsmenu und ich habe meinen Vorsatz, viel Schlaf, wahrgemacht. Ein Kollege, der schon allein nach draussen darf, kam betrunken zurück und wird uns in den nächsten Tagen verlassen, möglicherweise. Ich habe mich immer gut mit ihm verstanden und manches Gespräch geführt. Ein Drittel aller Insassen hat am Preisrätsel unserer Zeitung teilgenommen. Schöner Erfolg. Meine Gedanken gehen schon ins neue Jahr, genau genommen, denke ich an das Jahresende 2013.
Jetzt kann ich sagen "Im nächsten Jahr werde ich entlassen." Angst machend und zugleich Freude bereitend, dieser Gedanke. Wo werde ich in einem Jahr stehen? Aber immer der Reihe nach. Jetzt beginne ich erst einmal locker das neue Jahr. Bin saumäßig gespannt, wie es mit mir weitergeht.

Gar nicht wichtig

Steuererhöhung, Rentenkürzung,
Strompreis=Mondpreis,
keine Kita's, keine Altenstuben,
viel mehr Mädchen da, als Buben.
Abgestürzter Präsident,
vatikanischer Konvent.
Homoehe, Scheidungsklauseln,
alles ändert sich mit Grausen,
tun Arbeitslose nix,
umgeschult jetzt aber fix.

Lebensmittelpreise tun steigen,
auch Benzin fliesst in dem Reigen,
der Verringerung des Habens,
Banken schliessen nicht nur abends.
Kochrezepte haufenweise,
der letzte Starkoch röchelt leise,
niemand da der ihn noch hört,
leere Theater, kein Konzert,
ertönt noch in den Ruhmeshallen,
der letzte Tiger wetzt die Krallen.
Klimawechsel oder -wandel,
Termingeschäfte, Aktienhandel,
alles dreht sich nur um Geld,
ein Lump ist, wem sowas gefällt.

Alles bleibt so, wie es ist,
Berliner Flughafen, so'n Mist.
Ist alles garnicht wichtig,
das Waffenhorten meldepflichtig,
erschossen werden viele zwar,
keiner in der Lage war,
dem Morden Einhalt zu gebieten,
was soll's, gestiegen sind die Mieten,
verkleinert wird das Parlament,
aufmerken, denn die Lunte brennt.

Das neue Jahr will jetzt beginnen,
die Glaubenskrieger lauter singen.
Noch besser als erneut zu bomben,
viele werden sich verplomben,
zum Schutze vor des Jahres Tücken.

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